Über Wolfsverhalten in Deutschland


Foto: Karsten Nitsch
Foto: Karsten Nitsch

Sebastian Körner unterstützt seit 2002  – zunächst ehrenamtlich und später freiberuflich - Arbeiten im Rahmen des Sächsischen Wolfsmonitorings durch das Wildbiologische Büro LUPUS. Seit 2003 versuche er, die verschiedenen Wolfsfamilien mit der Filmkamera zu beobachten. Seine Aufnahmen wurden in zwei Dokumentationen von NDR-Naturfilm/DocLights Studio Hamburg über die Wölfe in der Lausitz verwendet. Die Fernsehdoku  "Deutschlands wilde Wölfe - wie sie wirklich sind" ist seine erste eigene Produktion. Der ebenfalls 45 min lange Film "Familie Wolf - Gefährliche Nachbarn?" wurde 2017 auf ARTE erstausgestrahlt und war dann in der WDR-Reihe "Abenteuer Erde" zu sehen.


Sebastian, beschreib bitte kurz wie du zu den Wölfen gekommen bist. Seit wann haben sie dich fasziniert?

Schon während des Biologiestudiums, das ich 1991 mit dem Schwerpunkt Verhaltens-forschung und Ökologie abschloss, habe ich Bücher über das Verhalten der Wölfe gelesen. Vor allem die Verhaltensforschungen von Erik Zimen haben mich damals interessiert. Heute weiß man zwar, dass die damals an Wölfen in Gefangenschaft durchgeführten Untersuchungen nicht auf freilebende Wölfe übertragbar sind, zu jener Zeit war das jedoch noch nicht bekannt und meine Faszination geweckt. Der entscheidende Schritt kam dann durch meine Lebenspartnerin Gesa Kluth, die ich 1999 in der Schorfheide kennenlernte. Sie beschäftigte sich damals mit der möglichen Ankunft erster polnischer Wölfe in Deutschland, ich war Mitglied der Projektgruppe.

 

Hast du damals schon gefilmt?

Mit dem Filmen angefangen habe ich in Sibirien, wo ich Seggenrohrsänger im Rahmen einer Forschungsexpedition filmte. Mit den Wölfen begannen die ersten Aufnahmen 2003 mit den Dreharbeiten rund um die hybriden Jungtiere (Mischlinge von Hunden und Wölfen) des Neustädter Rudels. Ich wollte aber nicht nur die Hybride filmen. Vielmehr reizte mich die Möglichkeit, Wölfe über einen längeren Zeitraum zu begleiten, also beispielsweise einen Welpen aus dem Seenland später als Rüden eines anderen Rudels wieder zu identifizieren.

 

Foto: Sebastian Körner
Foto: Sebastian Körner

 

Wie kam es damals zu den Hybriden? Die Paarung wilder Wölfe mit Haushunden wird auch heute noch als Risiko einer weiteren Wolfsausbreitung angeführt?

 Das kann eher ein Problem werden, wenn die Wölfe nicht ausreichend Partner vorfinden, wie damals, zu Beginn der Wolfsausbreitung in Deutschland. Inzwischen ist die Wolfspopulation groß genug und die Gefahr ist meiner Meinung nach sehr klein.  Es sind auch keine neuen Fälle entdeckt worden.

 

Zum Jagdverhalten: Von Jägerseite hört man, dass die Beutetiere scheuer werden, schwerer zu jagen sind und Wildschweine sich zu großen „Angstrotten“ zusammenschließen um sich besser vor den Wölfen schützen zu können. Was hältst du davon?

Aus meiner Sicht ist das Jägerlatein. Diese großen Rotten gibt es auch in wolfsfreien Gebieten. Die Nahrungsversorgung ist bei Wildschweinen so gut, dass sich die Rotten nicht trennen müssen. Riesige Maisfelder, dazu Wildäcker in den Wäldern um die Wildschweine von den Feldern fernzuhalten, das sind Schweineparadiese.

 

Der Einfluss der Wölfe auf die Beutetiere wird völlig übertrieben. Der Mensch tötet hier etwa viermal so viel Wild wie der Wolf. Wölfe gehören für Hirsche oder Schweine zu ihrem natürlichen Umfeld, damit können die umgehen. Die meisten Begegnungen verlaufen auch ohne einen Angriff, dieser erfolgt nur wenn sich den Wölfen eine Chance bietet. Ein Schuss aus dem Nirgendwo und ein Tier kippt tot um, das ist für Tiere nicht einzuschätzen und sie werden nachtaktiv. Ich habe beobachtet wie sich Wildschweine mit Wölfen in Sichtweite relativ entspannt bewegt haben, als aber ein Mensch auf einem Fahrrad ein Weg entlang fuhr, flohen sie in Panik.

 

Foto: Sebastian Körner
Foto: Sebastian Körner

Wie jagen Wölfe Wildschweine in Sachsen? Diese sind als gut organisiert und wehrhaft bekannt.

Wenn sich Wildschweine normal verhalten, können die Wölfe wenig machen. Ein Jäger hat beobachtet, wie der Rüde eines Rudels eine Rotte immer wieder umkreist hat. Ein Wildschwein schoss heraus und warf den Wolf mehrere Meter durch die Luft. In einem anderen Fall hat eine Rotte drei Jährlinge verscheucht.

 

Wölfe warten auf Gelegenheiten: Darauf dass die Bache einmal nicht aufpasst, oder ein vorwitziger Frischling sich etwa absondert, dass sie verletzte oder alte Tiere finden. Dafür stöbern Wölfe schon Rotten mit Frischlingen hinterher, warten auf eine Gelegenheit. Kleine Überläuferrotten können schon auch ein Ziel sein, vor allem wenn mehrere Wölfe gemeinsam jagen. Funde, auch größerer Überläufer deuten darauf hin.
 

Wie sieht das aus? Hast du kooperatives Jagdverhalten beobachten können?

Nein, hier in Deutschland ist Jagdverhalten aber auch sehr schwer zu untersuchen. Das meiste spielt sich in der Dunkelheit ab, die Reviere sind über 300 Quadratkilometer groß und bieten viel Deckung. Ich hab auch den Eindruck, dass in den meisten Fällen hier alleine gejagt wird. Es wurden Jagdszenen beobachtet, aus Spuren können Rückschlüsse gezogen werden, es ist aber schwer, daraus allgemeingültige Verhaltensweisen abzuleiten.

 

Wie werden Rothirsche gejagt, sie machen hier ja etwa 20% des Beutespektrums aus?

Hier jagen fast nur die Elterntiere die Rothirsche, strategische Zusammenarbeit gibt es eher nicht. Ein Wolf wurde beobachtet, wie er versucht hat, Tiere eines Hirschrudels zu separieren, indem er es ein paar Mal im Kreis getrieben hat. Eine zweijährige Wölfin wurde beobachtet, wie sie eine Hirschkuh alleine erlegt hat. Es gibt hier kein Erfordernis gemeinsam zu jagen.

 

Wie lernen die Welpen das Jagen? Werden sie von den Altwölfen unterrichtet?

Nach meinen Beobachtungen können Welpen nicht viel von den Eltern lernen, die Altwölfe sind vielleicht eine  halbe Stunde am Tag da, Jährlinge bleiben beim Wurf und passen auf. Die Welpen nerven und betteln ständig, die Eltern sind dann schnell genervt. In den Instinkten ist Fangen und zu Fall bringen schon angelegt, die Welpen üben schon früh spielerisch das Jagen. Manchmal spielen die Jährlinge auch mit, sie sind dann ganz vorsichtig und liebevoll.

Was als Beute in Frage kommt, lernen die Welpen über die Beute, die die Eltern mitbringen. Es kann also schon sein, dass wenn immer Schafe mitgebracht werden, das Interesse der Jungwölfe an Schafen steigt. Auch darum ist es wichtig, Haus- und Nutztiere frühzeitig und entsprechend den Empfehlungen zu schützen.

Verlassen die Wölfe dann meist mit zwei Jahren das Rudel, hängt ihr Überleben vor allem davon ab, wie schnell sie in der Lage sind, Rehe oder Wildschweine zu erlegen. Mäuse und Kaninchen sind ungünstig in der Energiebilanz, der Aufwand ist zu groß für den Ertrag.

 

Foto: Sebastian Körner
Foto: Sebastian Körner

Gibt es familiäre Unterschiede bezüglich der Nahrungsauswahl?

Nahrungsanalysen zeigen unterschiedliche Anteile verschiedener Beutetiere, so fanden sich in den Proben des Königsbrücker Rudels 8 % Biber. Vermutlich hängt diese Spezialisierung sowohl von dem Nahrungsangebot, als auch von familiärer Prägung ab. Ein Jungwolf aus der Königsbrücker Heide könnte also in einem anderen Territorium trotz eines anderen Habitates ebenfalls  Biber jagen. Bei besonders talentierten Jägern, finden sich hohe Anteile an Rothirschen in der Nahrung.

 

Sind dir Strategien bekannt, bei denen Wölfe zur Jagd Besonderheiten des Geländes nutzen – wie beispielsweise bei der Jagd auf Bisons im Yellowstone Park, wo die Wölfe darauf warten, dass die Bisons mit ihren schweren Körpern durch Tiefschneefelder zu ihren nächsten Nahrungsgründen queren müssen?

Das spielt sicher im Teichgebiet in Niederspree eine Rolle. Dort ist viel Brunftgeschehen der Rothirsche. Im Herbst bei abgelassenen Teichen sinken die Hirsche teils bis zum Bauch ein, die Fluchtgeschwindigkeit ist dann herabgesetzt, wie auch die Möglichkeit, sich schnell zu drehen und zu verteidigen. Dort wurde auch von einem Hobbyfotografen beobachtet, wie ein Wolf ein Rothirschkalb immer wieder ins flache Wasser gedrückt, es am Ende ertränkt hat.

Ein anderes Beispiel: Förster haben mir berichtet, dass Wölfe Beutetiere in Zäune von Schonungen jagen. Ob das stimmt weiss ich nicht, könnte ich mir aber vorstellen.

 

Beobachtungen aus Kanada deuten auf eine symbiotische Beziehung zwischen Raben und Wölfen hin. An allen untersuchten Wolfshöhlen fanden sich dort in unmittelbarer Nähe Rabenhorste. Junge Raben liefen in die Höhlen, spielten draußen mit den Welpen. Raben zeigten Wölfen den Weg zur Beute, trieben Wapitis auseinander, so dass die Wölfe besser einzelne Tiere separieren konnten. Am Ende überließen die Wölfe den Raben einen Teil der Beute. Was hältst du davon? Hast du so etwas auch in Deutschland beobachtet?

Ich glaube nicht, dass hier Wölfe Raben brauchen um sie zur Beute zu führen, die finden sie ganz alleine, vor allem in Deutschland mit seinem Bestand an wilden Paarhufern. Raben folgen Wölfen, weil sie so etwas zu fressen finden, aus demselben Grund fliegen sie auch Straßen ab. Bindungsaufbau zwischen Raben und Wölfen halte ich für abwegig. Was bekannt ist, dass die Männchen der Raben die Weibchen beeindrucken wollen und sich direkt vor die Wölfe setzen um diese zu provozieren.

 

Foto: Sebastian Körner
Foto: Sebastian Körner

Es wird häufig  behauptet, der Wolf passe nicht in unsere Kulturlandschaft, in der es keine Wildnis mehr gäbe.

Wölfe können ziemlich viel an Störungen wegstecken. Sie lernen schnell, welche Aktionen ihnen gelten und welche nicht. Die unmittelbare Höhlenregion sollte störungsfrei sein, das restliche Revier ist diesbezüglich nicht so relevant. Auch im ersten Jahr der Besiedlung haben Wölfe schon 2-4 Höhlen, die sie dann zum Ausweichen im Falle von Störungen benutzen können. Selbst auf Truppenübungsplätzen oder in stärker besiedelten Regionen können Wölfe leben, da sie sich an die Aktivitäten der Menschen anpassen können. In Berliner Randbezirken, wo Wildschweine herumlaufen, können auch Wölfe leben, die von diesen Wildschweinen leben.

 

Die Wölfe, die manchmal gesehen werden, sind meist junge Wölfe, die häufig neugieriger und weniger vorsichtig als die Altwölfe sind. Wenn sie auf der Suche nach einen neuen Revier sind, kennen sie zudem das Terrain und damit die Aktivitätsmuster der Menschen nicht. Es gibt aber keinerlei Anzeichen, dass durch eine Gewöhnung von Wölfen an ein Gebiet, die Gefahr für die Menschen steigt.

 

Aus Kanada gibt es Beobachtungen, die von Überfällen von Wolfsrudeln auf fremde Wolfsreviere berichten. Hast du hier etwas Ähnliches beobachtet?

Beobachtet selbst nicht, aber dass es aggressive Auseinandersetzungen um Reviergrenzen gibt ist relativ klar. Das Milkeler Rudel hat Druck auf das Neustädter Rudel ausgeübt und am Ende einen großen Teil des früheren Neustädter Reviers besetzt. Jedes Jahr verschieben sich ein Teil der Reviergrenzen, werden die Karten neu gemischt. Das kann man mit Revierstreitigkeiten zu tun haben, aber auch mit Todesfällen oder Krankheit von Altwölfen.

Im Yellowstone gab es geradezu Feldzüge, wo Rudel das Nachbarrudel überfallen und möglichst viele getötet haben, es ging dabei wohl um den Zugang zu einem Talbereich in dem Wapitis leben. Wenn sich die Nahrungssituation verschlechtert gibt es einen Trend zu größeren Territorien, das geht dann häufig nur kriegerisch.

 

Ein anderes Beispiel ist das Rudel in Munster, das Bispinger Rudel hat das Revier übernommen. Die alte Fähe ist mit Gesäuge überfahren worden, die Welpen waren aber schon groß genug und wurden von den Jährlingen großgezogen. Zur gleichen Zeit wurde schon ein zweites Rudel in diesem Gebiet nachgewiesen. In Folge wurden 2 Welpen tot gefunden, zwei weitere Welpen verschwanden und der Jährlingsrüde umgebracht. Im folgenden Jahr war von dem ehemaligen Munsterrudel nichts mehr zu sehen.

 

Foto: Sebastian Körner
Foto: Sebastian Körner

In den Medien wird häufig über eine Obergrenze, bzw. eine Bestandsregulierung diskutiert, was hältst du davon?

Das würde für Schäfer keine Verbesserung bringen, egal ob fünf oder zehn Wölfe, sie müssen ihre Herden schützen. Das funktioniert auch ganz gut, wenn sich alle an die empfohlenen Schutzmaßnahmen halten. Das Rosenthaler Rudel, wurde in verschiedenen Medien als Beweis angeführt, dass Elektrozäune auch nicht funktionieren würden. Es wird in der Diskussion aber vergessen, dass es jahrelang keinen Mindestschutz gab, so wurden die Schafe für Wölfe interessant.

Bei Fleischfressern erfolgt die Bestandsregulation über das Nahrungsangebot. Bei schlechter Nahrungsverfügbarkeit sind Wölfe mit ihren Welpen schwächer und damit anfälliger für Parasiten und Krankheiten.

 

Es gibt Stimmen, die sagen Wölfe würden sich in Fällen knappen Nahrungsangebot-es Siedlungen nähern und von Abfällen ernähren.

In Deutschland gibt es keine offenen, frei verfügbaren Müllkippen. Wölfe brauchen am Tag im Schnitt 4 kg Fleisch, da sind Mülltonnen für sie völlig uninteressant.

 

Zu den Sinnen von Wölfen: Gibt es Hinweise darauf dass sie Spuren optisch lesen können?

Da wo wir sehen, riechen die Wölfe. Vor allem wo es unübersichtlich ist, dominiert der Geruchssinn. Sie können vor allem gut Bewegungen sehen, ich glaube nicht, dass Beutespuren optisch untersucht werden.

 

Vielen Dank für dein Wissen Sebastian, ein Schlusswort?

Mich faszinieren diese intelligenten und sozialen Tiere, die sich an die Gegebenheiten vieler Gegenden Deutschlands gut anpassen können. Ich wünsche mir bei allen Konflikten einen sachlich und fachlich geprägten Dialog.

 

Foto: Sebastian Körner
Foto: Sebastian Körner

Link zu Sebastian Körners Homepage "Lupovision"

Literaturhinweis

Neben einigen hervorragenden Büchern von langjährigen Forschern freilebender Wölfe, die ich unter Quellen aufführe, möchte ich an dieser Stelle auf eine Veröffentlichung hinweisen, die außergewöhnlich ist: Sebastian hat sein für die Allgemeinheit relevantes Wissen über Wölfe in Deutschland für den niedersächsischen Jagdverband zusammengefasst. Ich begrüße es außdrücklich, dass sich die Jäger Rat von den Fachleuten einholen - all zu oft scheinen die in der Öffentlichkeit geführten Diskussion sehr interessengeleitet zu sein. Ein schöner Beitrag mit dem Potenzial, die Diskussion etwas zu versachlichen.

 

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