Stadthabichte in Köln


Dr. Michael Lakermann ist promovierter Chemiker und untersucht seit über 30 Jahren Population und Verhalten der Habichte in Köln. 2017/2018 initiierte und koordinierte er eine überregionale Kartierung von Habichten in Siedlungsgebieten von Großstädten, vor allem in NRW.

 


Hallo Michael wie bist du zu den Habichten gekommen?

Das war eigentlich Zufall. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von Vögeln und steckte in meiner Dissertation zu chemischer Analytik. Ich hatte einen Freund im Labor, der Forschungen zur Schwermetallbelastungen von Habichten an Hand von Mauserfedern durchführte. Die Federn faszinierten mich, machten mich neugierig auf diesen versteckt lebenden Vogel und so ging ich mit ihm raus zu den Brutplätzen um Federn zu sammeln. Er erklärte mir dann einiges zur Lebensweise von Habichten und Sperbern, dann war es um mich geschehen. Das war 1987. Habichte finde ich aufgrund ihrer Kraft, ihrer Wildheit und Eleganz faszinierend. 1988 fand ich dann den ersten Habichtbrutplatz in Köln auf einer Insel im Stadtwaldweiher. Damals sagte die Forschung, dass es keine Habichte in Städten geben würde. 1988 hab ich dann eine zweite Brut in Köln gefunden, 1989 nach systematischerer Suche eine dritte und 1990 waren es sechs.


Wie sieht das heute aus?

Aktuell sind es etwa 25 Habichtpaare auf dem Kartenblatt 5007, was der inneren Stadt und den umliegenden Grüngürteln, aber nicht ganz dem Kölner Stadtgebiet entspricht. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass der Bestandszenit überschritten wurde, die Brutzahlen gehen etwas zurück. An vielen Brutplätzen sind mehr als zwei Habichte anwesend.

 

Was bedeutet das?

Nun zumindest, dass es an einigen Horsten nicht zu ungestörten Bruten kommt, nicht nur in Köln, auch in Berlin und anderen Großstädten wurden dafür Beispiele beobachtet: Häufig gibt es die Konstellation mit einem Brutpaar alter Habichte und einem Rothabichtweibchen, also einem einjährigen Vogel. Es kommen auch Konstellationen mit 2 Männchen und 2 Weibchen vor. Einmal konnte ich beobachten, dass ein Männchen mit Beute zum Horst kommt, zwei Weibchen kommen herangeflogen und wollen die Beute haben, ein anderes Männchen flog ohne Beute aus der Horstzone ab. Ein altes Weibchen brütet am Ende, die Brut war am Ende nicht erfolgreich.

 

Ein anderes Beispiel war ein adultes (ausgewachsenes) Habichtpaar im Kölner Stadtwald: Sie sitzen gemeinsam in Horstnähe im Wald, ein einjähriges Männchen kommt mit einem erbeuteten Eichhörnchen, setzt sich unweit des Paares in den Baum und gickert (Revierruf). Der Habicht lässt die Beute fallen, greift es wieder und fliegt wieder auf. Dann gickert ein vierter Habicht vom Horst. Am Ende hat kein Habicht an diesem Brutplatz gebrütet.

 

Also schilderst du hier, wie Bestandsregulation nicht nur über das Nahrungsangebot, sondern auch über Druck auf das Brutpaar erfolgt?

Ja, dauernde Störungen halten das Brutpaar vom Brutgeschäft ab, also dem Beuteerwerb und dem Brüten selbst und erhöhen zusätzlich den Nahrungsbedarf durch eine gesteigerte körperliche Aktivität.

 

Einen dritten Habicht, der wie bei Krähen beobachtet Bruthelfer-Funktionen übernimmt, ist von dir noch nicht beobachtet worden?

Nein, davon hab ich auch noch nie gehört.

 

Wie schätzt du die strategischen Fähigkeiten der Habichte ein?

Sehr klug sind sie nach meinen Beobachtungen nicht. In einem Kölner Park gab es einen gut ausgebauten Habichthorst, der Terzel war mit dem Ausbau beschäftigt.  Am nächsten Tag war ich wieder dort und eine Nilgans saß auf dem Horst. Der Habicht flog mehrere Tage  mit einem Zweig im Schnabel immer wieder um den Horst herum, ohne die Gans anzugreifen oder anders zu reagieren. Offenbar wusste er mit der Situation nichts anzufangen und wiederholte stattdessen sein Handlungsmuster. Ein paar Tage später bauten die Habichte etwa hundert Meter entfernt einen neuen Horst, während die Nilgänse auf dem alten Horst brüteten. Das Nest hielt die Gänse aber nicht lange aus, so dass die Gänse sich nach kurzer Zeit eine neue Bleibe suchen mussten, die sie in dem neuen Habichthorst auch fanden. Die Habichte entwickelten zu keiner Zeit eine Strategie gegen die Eindringlinge.

 

In der Fachliteratur wird Verhalten beschrieben, bei dem ein Habicht eine Taube über große Umwege und die geschickte Ausnutzung des Geländes erbeutet, etwas Ähnliches habe ich auch schon beobachtet. Könnte man dies als strategisches Handeln interpretieren?

Das ist schwer zu sagen, es könnte auch sein, dass der Habicht beispielsweise von seinen Eltern gelernt hat, dass die beschriebene Flugroute häufig zum Erfolg führt. Am Ende ist das Gehirn des Habichts vergleichsweise klein.

 

Wie würdest du das Verhalten von Habichten Krähenvögeln gegenüber beschreiben?

In der Konkurrenz um ein Brutrevier kommt es nach meinen Beobachtungen vor allem darauf an, wie erfahren und eingespielt das Habichtpaar ist. Wissen diese was sie tun und arbeiten harmonisch zusammen, kommen die Krähen gegen sie nicht an. Rabenkrähen merken, ob ein Habichtpaar Schwäche zeigt oder nicht, sie stören aggressiv das Brutpaar, wenn sie dazu eine Möglichkeit sehen. Finden sie keine Schwäche, halten sie Abstand. Nur in der Startphase können die Krähen aus meiner Sicht Ärger machen und die brütenden Habichte verdrängen, später nicht mehr. Vor allem halbstarke Krähen können den Habichten auf die Nerven gehen, wenn mehrere Vögel koordiniert tagelang die Brutzone bedrängen.

 

Auf dem Deutzer Friedhof gab es einen Habichthorst mit Junghabichten. Etwa zehn Krähen machten ziemliches Spektakel, ein Junghabicht erschreckte sich und flog auf einen etwa 150m entfernten Baum. Die Krähen flogen auf und bedrängten ihn. Er blieb aber oben im Baum sitzen und zeigte damit, dass er kräftig und fit ist. Jagen die Krähen solch einen Jungvogel bis auf den Boden, ist er verloren. So ließen sie wieder von ihm ab.

 

Bedienen sich Habichte an Krähennestern?

Mir ist kein Beispiel bekannt, bei dem die Federn mehrerer Jungkrähen in der Nähe ihres Horstes gefunden wurden, das wird vom Einzelfall abhängen. Schwache, kranke unvorsichtige Jungkrähen, fehlende Altvögel, diese und andere Faktoren können die Wahrscheinlichkeit steigern. Dagegen spricht, dass Krähen sozial agieren, sich gegenseitig helfen und damit es dem Habicht damit schwer machen, sich ihrem Nest zu nähern. Auch umgekehrt ist es denkbar, dass mehrere Krähen einen schwachen Junghabicht töten, persönlich habe ich so etwas aber noch nicht gesehen.

 

Wie sieht das bei Elstern aus?

Elstern sind in Köln eine wesentliche Nahrungsquelle für Habichte. Nahrungsanalysen haben einmal gezeigt, dass die Nahrung der Kölner Habichte zu knapp 40% aus Elstern bestand. Das nimmt aber seit einiger Zeit etwas ab. Trotzdem ist die Elsterpopulation in der gleichen Zeit nicht zurückgegangen. Ich glaube, dass Habichte nur den Überhang an Elstern abschöpfen, sie ist heute in Köln immer noch hinter den Stadttauben zweithäufigster Beutevogel. Die Elstern haben ihrerseits auf diese Nachstellungen reagiert, indem sie von den hohen Bäumen in die Junggehölze und Sträucher ausgewichen sind, wo sie mehr Deckung haben. Eine räumliche Meidung der Habichtreviere durch die Elstern ist nicht feststellbar. Rabenvögel insgesamt haben mittlerweile eine etwas schlechtere Nahrungsgrundlage, weil in Parks und auf Spielplätzen die Mülleimer verändert wurden und sie nun nicht mehr an die Abfälle herankommen.

 

Was kannst du zur Nahrungszusammensetzung  der Kölner Habichte, abgesehen von den Elstern, sagen? In Essen und Mülheim finden sich besonders häufig Rupfungen von Ringeltauben.

Stadttauben spielen eine erhebliche Rolle, in früheren Jahren haben aber auch Stare und Drosseln, vor allem Wacholderdrosseln, einen großen Anteil der Habichtbeute ausgemacht. Deren Bestände gehen nun aber seit einiger Zeit zahlenmäßig zurück. Mit kleinerem Anteil an wilden Singvögeln und damit wachsenden Teil an Stadttauben wächst die Anfälligkeit der Habichte für Parasiten und Krankheiten. In ländlichen Gebieten gehen die Habichtbestände teils zurück, ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass es weniger Brieftaubenzüchter gibt.

 

Es wird auch von Rupfungen von Reihern und Gänsen berichtet, was weißt du darüber?

Viele Menschen glauben, dass Habichte oder andere Jäger gesunde Tiere Jagen, das wäre nicht effizient, am Ende geht es auch in der Natur darum effizient zu leben, also möglich wenig Energie zu verbrauchen. Es gibt sicherlich diese Fälle, es wird sich aber vor allem um Jungvögel oder alte und kranke Tiere handeln. Wir Menschen wollen immer gesunde Tiere essen, Beutegreifer werden dagegen immer alte oder kranke Beute bevorzugen. Aborigines in Australien jagen auch kranke und schwache Tiere, sie glauben, dass Beutetiere Signale aussenden und sich den Jägern zur Verfügung stellen. Jagd auf gesunde Tiere ist dort tabu.

 

Jagdflüge auf Eichhörnchen, die spiralförmig um den Baum fliehen zeigen die Wendigkeit und Vielseitigkeit des scheinbar spezialisierten Vogeljägers. Welche Beute abseits der Vogelwelt erbeuten Habichte in Köln?

Es sind vor allem Jungkaninchen. Daneben sind vor allem Junghabichte Opportunisten, und nehmen auch Insekten oder Frösche, wenn die Vogeljagd noch nicht erfolgreich verläuft.

 

Welche Brutplätze nutzen Habichte in Köln?

Gerne brüten Habichte in Köln auf mittelgroßen Friedhöfen und in Parks, bevorzugen dort Baumgruppen mit alten Bäumen. Sind die Bruten in der Nähe frequentierter Wege, sind ausgewählten Bäume meist sehr hoch. In Berlin brüten die Habichte auch auf Kleinstfriedhöfen, sie sind in Siedlungen offenbar nicht so sehr auf Deckung in den Baumkronen angewiesen.

 

 

In Essen haben wir gemeinsam Habichte beobachtet, die in Junggehölzen, in denen sonst eher Sperber vermutet werden würden, gebrütet haben. Vor Jahren gab es eine Brut, die nur etwa zehn Meter Luftlinie von einem mehrstöckigen Wohnblock entfernt war. Meine Interpretation ist, dass die Nahrungsverfügbarkeit wichtiger als der optimale Brutplatz ist. Wie siehst du das?

Ja, das kann gut sein. Schaut man sich die Horste in Köln und anderen Städten an gibt es die Gemeinsamkeit, dass nur die unmittelbare Horst Umgebung, das können auch nur ein paar Meter sein, störungsarm sein müssen. Wie schon gesagt, wenn geeignete Baumgruppen da sind und der Ort ist stark frequentiert, dann schaffen sie sich Distanz über die Höhe des Horstes. Einzel stehende Bäume werden von Habichten nicht angenommen.

 

Was meinst du wie sich die Kulturfolger-Populationen in den Ballungsgebieten entwickelt haben? Ursprünglich ist der Habicht doch eher als der scheue Waldvogel bekannt.

Ich könnte mir vorstellen, dass das „Zufallshabichte“ waren, vielleicht auch mutigere Jungvögel auf Reviersuche, die in die Siedlungsgebiete kamen und merkten, dass sie mit den Menschen eigentlich gar kein Problem hatten. In vielen Ballungsgebieten gibt es im Siedlungsbereich ja auch größere Wälder, so dass der Übergang langsam vonstattengegangen sein kann. Sicherlich war auch die hohe Taubendichte ein Faktor, der dazu beitrug, die bevorzugten Wälder zu verlassen.

Sie mögen es meistens nicht wenn sie beobachtet werden. Vorbei gehen oder fahren ist meist kein Problem. Stehenbleiben und schauen schon, ein Fernglas führt nicht selten zum Abflug.

 

Zum Abschluss vielleicht auf diesem Weg noch einmal ein Appell an alle Vogelfreunde, je nach Jahreszeit die Störungen für die Tierwelt möglichst gering zu halten, vielen Dank!