Hallo Jens, wir kennen uns nun schon einige Jahre über die Greifvogel AG des NWO. Wie lange beobachtest du schon Greifvögel und was fasziniert dich an Rotmilanen?
Greifvögel haben mich eigentlich immer schon fasziniert, bewusst sie beobachten und erforschen, das mache ich seit etwa 40 Jahren. Etwa 1981 bin ich mit 13/14 Jahren zur Greifvogel AG der NWO (Nordrheinwestfälische Ornithologengesellschaft) gestoßen, damals noch unter der Leitung von Theodor Mebs, einem der bekanntesten Greifvogelkenner Deutschlands. Er hat im Laufe der Jahre einige Standardwerke über Greifvögel, Eulen und Wasservögel verfasst. Ich hatte das Glück, dass er einige Jahre lang mein Mentor war und sich Zeit genommen hat, mit einem jungen Verrückten sein Wissen zu teilen.
1985 habe ich meine ersten Rotmilanfedern gefunden, die fand ich so schön, dass ich begann mich mit diesen wunderbaren Vögeln näher zu beschäftigten. Theodor Mebs hat mich dabei ermuntert, er fand wohl schon damals, dass diese Vögel mehr Unterstützung brauchen.
Wie war das mit Theodor Mebs?
Das war schon verrückt. Teils waren wir in Gebieten, in denen er Jahrzehnte nicht gewesen war. Wir gingen in ein Feldgehölz und fanden einen besetzten Rotmilanhorst, irgendwie hatte er ein sicheres Gespür dafür, wo er suchen musste.
Ich weiß von dir dass du ein riesiges Gebiet kartierst – welche Gebiete sind das?
Seit 1979 kümmere ich mich um das Gebiet zwischen dem Dortmunder Osten, Unna, der Mitte Kamens und
dem Haarstrang – da geht der Großteil meines Jahresurlaubs für drauf. Ich habe aber auch in anderen Regionen Rotmilane beobachtet: In der zweiten Hälfte der 90 Jahre habe ich vier Jahre lang
Milanfedern in Halberstadt gesammelt, dann war ich In England, Wales und Südschweden um dort das Verhalten der Rotmilane zu studieren.
In welchen Habitaten kommen Rotmilane vor allem vor?
Es sind vor allem zwei: Die ausgeräumte Agrarlandschaft (bevorzugt mit Geländestufen) und eine gut strukturierte
Mittelgebirgslandschaft. In den heute großflächigen landwirtschaftlichen Monokulturen ist die Dichte der Rotmilane sehr viel geringer als im Mittelgebirge, nur wenige Paare brüten dort
erfolgreich. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen wird dort meist stark gespritzt, so dass weniger Nahrung für den Milan vorhanden ist. Außerdem wachsen auf großen Feldern alle Pflanzen
gleichzeitig hoch, so dass die Milane ab einer Wuchshöhe von etwa 20 cm Schwierigkeiten haben an Nahrung zu kommen. Im Mittelgebirge brüten die
Rotmilane immer etwas später. Hier kommen sie besser klar, weil die Landwirtschaft meist vielfältiger und kleinteiliger strukturiert ist: Felder mit verschiedenen Feldfrüchten neben Viehweiden.
Die Weiden werden nicht gepflügt, hier können sich Nagerpopulationen bilden, die dann auf den benachbarten Feldern Nahrung finden. Auf den Wiesen wird gemäht, die Kornfelder werden abgeerntet –
immer geraten auch Tiere in die Landmaschinen und können dann von Rotmilanen aufgelesen werden. Bei kleinteiligen Strukturen ist immer irgendwo gerade die Vegetation kurz, oder ein Feld frisch
gepflügt, das ist optimal für Rotmilane, die häufig entlang der Habitatgrenzen streifen.
Gerade hinter Landmaschinen lassen sich häufig mehrere Milane und Bussarde beobachten, aber es gibt auch andere Situationen, in denen sich Milane zusammenfinden!?
Ja, Rotmilane, wie auch Schwarzmilane und Weihen bilden gerne Schlafgemeinschaften, vor allem vom Spätsommer bis Herbstende. Bei den Weihen schlafen auch Rohr-, Korn- und Wiesenweihen gemeinsam auf einer Wiese. Die Milane suchen Jahr für Jahr immer wieder die gleichen Gebiete auf. Meist ist es sogar die gleiche Baumgruppe, die häufig angeflogen wird. Auch Nichtbrüter nutzen diese Gebiete teils schon während der Brutsaison. Richtig verstehen wir nicht die Gründe, wieso genau diese Gebiete immer wieder genutzt werden. Die große Bedeutung dieser Habitate für die Milane ist aber unstrittig.
Welche Konstellation an Brutbäumen benötigen Rotmilane?
Auch wenn sie keine riesigen Wälder brauchen: Etwa 10 Bäume, am besten mit trockenen Ästen, müssen schon da sein, auch wenn im Einzelfall auch schon mal eine Baumgruppe mit drei Bäumen reichen kann. Ohne ein Mindestmaß an Deckung brüten sie nicht. Sie benötigen ja nicht nur Brut-, sondern auch Kröpf- und Ruhebäume sowie Möglichkeiten für Ausweichhorste. Es wird meist in einer Höhe ab 18 Meter gebaut, selten tiefer, unter fünf Metern habe ich noch keinen Horst gesehen.
Gibt es auch ungewöhnliche Brutorte?
Ja, es gibt immer Ausnahmen von der Regel, wie in Sachsen-Anhalt, wo Rotmilane in Pappelreihen brüten. Wichtig ist meist, dass keine Fußgänger die Nähe des Horstbaumes frequentieren. Zu viele Störungen bedeuten, dass die Milane wiederholt auffliegen und die Brut schließlich nicht erfolgreich ist. Aber auch in der Nähe von Häusern kann es ruhig sein, dort können sie das Nahrungsangebot der Komposthaufen nutzen und vielleicht ist die Vermutung nicht abwegig, dass die Nähe zum Menschen die Brut vor Habichten schützt. Da gibt es eine Brut in Schleswig-Holstein nur 80 Meter mit freier Sicht vom Haus entfernt, in einer Baumreihe auf einer Pferdekoppel. Es wurden nicht wenige Bruten in der Nähe von Kolkrabenhorsten beobachtet, möglich dass sie dort Schutz vor Krähen suchen. Am Ende ist des den Milanen aber fast egal wo sie brüten, wenn es nur genug Nahrung gibt.
Welche Beute beobachtest du bei Rotmilanen? Ältere Studien berichten von extrem hohen Beutetieranteilen von Feldhamstern, andere schildern ihn als Opportunisten, betonen die Bedeutung von Aas und kranken, alten und jungen Tieren. Abgesehen davon, dass es den Rotmilan bei einer Spezialisierung auf den Feldhamster mangels Beutemasse nicht mehr geben würde, beobachte ich bei Rotmilanen eine sehr vielfältige Nahrungsbeschaffung.
Die Rotmilane sind unsere Geier, die werden keine Habichte mehr. Ich kenne keinen einzigen dokumentierten Bericht, in dem ein Rotmilan eine lebende Maus oder einen lebenden gesunden Hamster gefangen hat (vielleicht war ich aber auch immer an der falschen Stelle). Sie konzentrieren sich auf Aas, auf kranke und junge Tiere, daneben nehmen sie auch Schnecken, Amphibien und menschliche Abfälle. Feldhamster waren eine wichtige Nahrungsquelle, als es noch viele gab, sie haben eine ideale Größe. Falken und Mäusebussarde jagen aktiv, der Rotmilan greift seine gefundene Nahrung eher im Vorbeifliegen.
Die Titelstory einer Jagdzeitung zielte einmal auf die Jagd der Rotmilane auf Feldhasen – etwas skurril, wenn man bedenkt dass Rotmilane etwa 1000g schwer sind!?
Junge oder kleine Säuger (also auch Junghasen) passen in die „Faust“, wie soll die angebliche Jagd auf ausgewachsene Feldhasen funktionieren? Es gibt eine ganze Reihe an Untersuchungen des Nahrungsspektrums durch Horstkameras, da gibt es eigentlich keine großen Geheimnisse mehr. Vögel gehören noch zum Beuteschema, vor allem junge und unerfahrene bis zur Größe einer Rabenkrähe, werden nicht selten aus dem Nest geholt. Daneben sieht man vom Rotmilanen auch Szenen wie von Seeadlern, wenn sie vor allem kranke oder tote, manchmal aber auch lebende Fische von der Wasseroberfläche aufnehmen. Dann bilden die Mäuse eine wesentliche Beutegruppe und letztendlich natürlich auch die Regenwürmer.
Rotmilane sind aus meiner Sicht Generalisten und weniger anspruchsvoll als die Mäusebussarde, die würden beispielsweise eine Igelhaut nicht anrühren. Im Vergleich mit anderen Greifvögeln wie Bussarden und Habichten würde ich die Rotmilane als weniger intelligent bezeichnen, jedoch habe ich Verhaltensweisen beobachtet, die auch nicht ganz dumm sind: Zum einen fliegen sie mit Erdklumpen hoch und lassen sie fallen, um dann an die Regenwürmer zu kommen. Dann gibt es eine Form der Vogeljagd, bei der mehrere Rotmilane über einem Waldstück fliegen. Einer stößt in den Wald hinab und scheucht Singvögel auf, die von den anderen dann gejagt werden. Rotmilane beobachten auch lange junge, noch flugunfähige Krähen und Elstern, sowie Drosseln oder Stare und holen sich diese in einem geeigneten Augenblick von den Nestbäumen.
Welche Beziehungen gibt es zu den Schwarzmilanen?
Meistens wirken die Schwarzmilane aggressiver als die roten, aber bei längeren Beobachtungen sehe ich dann, dass der Rotmilan dort wo es ihm wichtig ist, sich auch durchsetzen kann. Ich hab an einigen Rotmilanhorsten Schwarzmilanfedern gefunden, kann aber nicht sagen was die dort gemacht haben, vielleicht nur schmarotzt. Sehr häufig brüten diese beiden Arten sehr dicht, wenige zehn bis dreißig Meter, nebeneinander.
Wie sieht das mit anderen Greifvögeln aus? Mit Mäusebussarden scheinen sie gut klar zu kommen.
Wo ein Rotmilan brütet ist auch ein Bussard oft nicht weit, da gibt es gewöhnlich keinen Stress. Bei Habichten ist das schon anders: Sind die Horste weniger als 300-500 Meter voneinander entfernt, geht das meist nicht gut. Die Habichte holen sich die jungen Rotmilane, wenn diese schon groß sind, aber noch im Horst sitzen. Haben die Rotmilane als Ästlinge den Horst verlassen, sind sie gewöhnlich in Sicherheit. Es ist aber auch einmal ein Habicht in ein Rotmilanrevier gezogen und hat in einem Jahr die jungen Rotmilane aus dem Nest geholt und selbst erfolgreich gebrütet. Im darauf folgenden Jahr war dann die Rotmilanbrut war wieder erfolgreich, die der Habichte nicht. Neben dem Habichthorst fand ich eine Milanfeder. Hat der Rotmilan die jungen Habichte getötet? Ich weiß es nicht. Ein anderes Mal hat ein Rotmilan den Horst eines Wespenbussards zur Brut genutzt. Im Juni kam der Wespenbussard und hat die jungen Milane vom Horst geworfen, Das sind Beobachtungen der Marke Jägerlatein.
Wie sieht es mit Kämpfen zwischen Rotmilanen aus?
Jagdreviere werden nicht oder nur sehr selten verteidigt, das beschränkt sich auf die Brutreviere, also einen Radius von etwa 200 Metern um den Horst herum. Es kann Tote geben, wenn sich streitende Vögel in die Krallen kriegen. Häufig gibt es aber andere Konstellationen, Rotmilane in einer Region sind häufig miteinander verwandt. Jungvögel kehren in die Brutregion zurück, ihnen wird gezeigt wie gefüttert wird.
Im Frühjahr stehen manchmal über einem Horstwald 6-8 Milane im Wind, keiner weiß warum, ich glaube da treffen sich Verwandte nach dem Winter wieder. In Belgien war ein telemetrierter Vogel in der Luft, das Weibchen unterwegs, ein dritter Vogel auf dem Horst. Ich habe auch schon zwei Paare an einem Horst gesehen, ich weiß nicht, was die da machen, ob es beispielsweise Verhaltensweisen wie von Bruthelfern bei Krähen gibt. Es werden auch regelmäßig Balzarenen beobachtet, da kommen Rotmilane von mehreren Revieren zusammen. Dieses etwas rätselhafte Sozialverhalten kenne ich nicht von Mäusebussarden oder Habichten.
Viel wurde schon geschrieben und diskutiert über die Gefährdung der Rotmilane durch Windparks, wie siehst du das?
Es gibt Probleme auf mehreren Ebenen. Das beginnt schon damit, dass verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen beim Betrieb von Windparks fehlen, es gibt nur Empfehlungen und die werden auch nur selten eingehalten. Der Bereich um den Mastfuß müsste eigentlich unattraktiv gestaltet werden. Im Mai sind das auf den Feldern aber die einzigen Bereiche ohne hochgewachsene Vegetation. Die Milane fliegen die Grenzflächen ab, dann ist es oft Zufall, wenn nichts passiert. Die Vögel haben keinen Lerneffekt, die kapieren das nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ein toter Vogel sein Wissen nicht mehr weitergeben kann.
Wie beurteilst du die Wirkung der Windkraftparks auf die Rotmilanpopulation?,
Die Rotmilane werden seit dem Jahr 2000 erfasst, die Zahlen scheinen stabil zu sein. Es ist aber auch fragwürdig monokausale Zusammenhänge zu bemühen, die Natur ist weitaus komplexer als unsere üblichen Argumentationslinien. Die Rotmilanpopulation hängt sicher auch von der Mäusezahl ab, die leidet vermutlich auch unter den schwachen Wintern. Unter einer geschlossenen Schneedecke können sich Mäuse am besten vermehren, es wird also für sie auch schwieriger. Dazu sind Rotmilane als Aasfresser auch von vorsätzlichen Vergiftungen betroffen, in der Hellwegbörde sind solche Fälle der unteren Landschaftsbehörde bekannt, die Rotmilane waren dort großflächig nahezu verschwunden. Daneben spielt die Landwirtschaft und damit die Brüsseler Förderungspolitik eine Riesenrolle, nicht nur wegen der Windparks: Was angebaut wird, wie breit die Felder sind, ob Randstreifen gelassen werden – das sind existenzielle Fragen, nicht nur für den Rotmilan. Momentan beziehen sich die Förderungen auf die Anbauflächen, das führt dazu, dass die Landwirte die Felder so weit ausdehnen, dass die Wälder am Rand teils rasiert werden, wichtige Graswege verschwinden.
Vielen Dank Jens!
Nachtrag: Die Greifvogel AG der NWO
Hier fließen Kartierungsergebnisse von über 40 Greifvogelkartierern und Kartierungsgruppen aus ganz NRW zusammen. Einmal jährlich im November wird eine Jahrestagung veranstaltet, in deren
Rahmen die Ergebnisse vorgestellt werden, Fachreferenten Studienergebnisse präsentieren und über aktuelle Entwicklungen diskutiert wird. Wer selbst Greifvogelforscher werden will, meldet sich am
besten bei Jens Brune (0173-9726827, jens_brune@gmx.de), so dass der Kontakt zur regionalen Gruppen hergestellt werden kann, wo dann auch das notwendige Wissen vermittelt wird. Man sollte
halbwegs gut zu Fuß sein und ein brauchbares Fernglas haben.
Vogel-Jahresseminar NABU Ruhr, Essen und NRW
4 Blöcke 2025
Jahresausbildung Wildlife
Fährtenlesen und Tierbeobachtung
Niederrhein, Niederlande, Neustadt/Spree (Lausitz)
20.3.-5.10.2025
NABU Ruhr Exkursionswoche Oberlausitz
5.5.-11.5.2025 Neustadt/Spree (Lausitz)
Tierkraft: Folge deinem Ruf
Neustadt/Spree (Lausitz)
07.-13.06.2025
Auf der Spur der Wölfe
Lausitz
22.-28.09.2025
(ausgebucht, Warteliste)
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