Winfried, wie bist du zu den Vögeln und insbesondere zu den Seeadlern gekommen?
Ich bin schon seit Kindestagen den Tieren und insbesondere den Vögeln hinterher. Ich habe noch heute meine alten Notizen, die ich als neunjähriger Junge erstellt habe. In Coswig bei Dresden hatte ich mit einem Mitschüler einen Wettbewerb, wer die meisten Nester der Gebirgsstelze findet. Da wurde meine Neugier auf das Leben der Vögel immer größer. Dann, ich weiß es noch als wäre es gestern gewesen, haben zwei neunjährige Jungen am 17.4.1982 um 13:00 Uhr an einer zutiefst inspirierenden Vogelstimmen-wanderung mit Bernd Katzer teilgenommen. Ich habe Feuer gefangen und wollte mich gerne weiter und intensiver mit der Vogelwelt beschäftigen. Später haben mich wöchentliche ornithologische Treffen am Pionierhaus in Meißen völlig begeistert. Ich absolvierte meinen Zivildienst im Naturschutz, studierte Biologie und promovierte über den Rotmilan. Seit 1999 arbeite ich nun an der sächsischen Vogelschutzwarte in Neschwitz.
Die Seeadler sind für mich schon etwas Besonders durch ihre Größe, die Spannweite von bis zu 2,50 m, dann aber auch die breiten Flügel und der kräftige Schnabel, das hatte für mich schon immer eine besondere Ausstrahlung. Seit Ende der 1990er Jahre beringe ich Seeadler mit meinem Freund Silvio Herold, habe Schlafplätze in Brandenburg und Sachsen beobachtet, nördlich von Niesky waren einmal gleichzeitig um 100 Individuen, auch für 3-4 Wochen. Das sind Bilder die du nicht mehr vergisst.
Wie würdest du das Revierverhalten der Seeadler beschreiben?
Unter den 85 bis 95 Brutpaaren in Sachsen sind keine fünf, die tolerant sind: Andere Seeadler werden im Revier nicht geduldet. Bei günstigen Bedingungen können die Abstände zwischen zwei Bruten aber relativ klein sein, in der Oberlausitz war das bei zwei Bruten ein Abstand von rund 1000 Metern. Die Qualität der Brutbedingungen hängt im Wesentlichen vom Nahrungsangebot und störungsarmen Brutplätzen ab. Bei solch niedrigen Nestabständen sind dann die Jagdreviere so aufgeteilt, dass es dort zu seltenen Begegnungen kommt. Seeadler dulden auch hier keine anderen Artgenossen. Insgesamt aber kann man schon eine Regel aufstellen: Je größer die Entfernung zum nächsten Artgenossen, desto größer ist der Bruterfolg.
Wovon ist das Leben der Paare gekennzeichnet?
Von großem Zusammenhalt. Die Paare schlafen teils nebeneinander, bleiben meist viele Jahre zusammen, erfahrene Adler jagen manchmal gemeinsam. Bei Neuansiedlungen gibt es nicht selten eine mehrjährige Anpaarungszeit, in der noch nicht gebrütet wird.
Wie störungsarm müssen denn die Brutreviere sein?
Das hängt zum einen vom Individuum mit seiner familiären Prägung ab, so tolerieren Vögel aus
Bruten aus dem Umfeld menschlicher Siedlungen sicher eher Menschen in ihrer Nähe als Seeadler, die in menschenleeren Gegenden aufgewachsen sind.
Am Ende geht es häufig um die Kalkulierbarkeit vermeintlicher Gefahren: Ein Jäger, der häufig mit dem gleichen Auto die gleiche Route fährt wird relativ leicht toleriert, ein anderes unbekanntes Fahrzeug aus wesentlich größerer Entfernung kann ein Abfliegen verursachen. Es gab eine erfolgreiche Brut nur 30 Meter neben einem Wanderweg, die Adler dort störten sich nicht an den regelmäßig vorbeilaufenden Menschen. Erst als dort Forstarbeiten stattfanden, scheiterte dort die Brut. Die kritische Phase ist vor allem die erste Zeit nach der Eiablage. Insgesamt kann man sagen, dass Seeadler sicher zu den scheuesten Greifvögeln gehören.
Gibt es außergewöhnliche Brutplätze?
In Nordwest-Sachsen gab es vor mehreren Jahren wohl eine Bodenbrut, auch Bruten auf Sträuchern, das war bis
dahin nur aus Skandinavien bekannt. Dort brüten die Seeadler häufig auf Inseln, die einen Schutz vor Fressfeinden bieten.
Wie groß ist die Abhängigkeit vom Wasser?
Seeadler sind Opportunisten und kommen mit vielfältiger Nahrung zurecht, in der Heide gibt es aber
Bruten, die nicht sonderlich erfolgreich waren.
Fischadler brüten in der Lausitz meist auf Hochspannungsmasten, Seeadler dagegen nicht, woran könnte das liegen?
Dazu gibt es meines Wissens noch keine Untersuchungen. Es gibt aber keinen Schatten, keine Deckung auf den freistehenden Masten. Fischadler können sehr gut sehen, es könnte sein, dass sie sich auch aus diesem Grund auf den Masten so wohl fühlen, weil sie Bedrohungen frühzeitig wahrnehmen können. Auch sind sie dort relativ sicher vor Prädatoren.
Beschreib doch bitte mal das Nahrungsspektrum der Seeadler!
Hechte werden als Oberflächenfische gerne genommen, Weißfische spielen auch eine Rolle, mausernde Wasservögel und Aas. Es wurde bislang aber noch nie eine größere Anzahl an Seeadlern über das Jahr daraufhin untersucht. Ich vermute, dass sich die Nahrungszusammensetzung auch regional je nach häufig vorkommender Beute voneinander unterscheidet. In jedem Fall sind Fische das ganze Jahr über die Hauptnahrung.
Seeadler schmarotzen auch von anderen Vögeln, sie greifen hier Altvögel der Kormorane an und bringen sie dazu, den gefangenen Fisch wieder hochzuwürgen. In Schleswig Holstein reagieren Kormorane auf die Anwesenheit von Seeadlern mit dem Verlegen ihrer Brutkolonien. Es wurden Rupfungen junger flugunfähiger Kormorane gefunden, die Seeadlerbrutplätze befanden sich in der Nähe der Kormorankolonien.
Auch Reiherkolonien werden wohl von Seeadlern frequentiert, Kraniche dagegen sind sehr aktiv wenn Fressfeinde ihre Jungen bedrohen und gehen auch Adler aktiv an. Dasselbe könnte ich mir auch bei Schwänen vorstellen, hab aber bislang keine entsprechenden Beobachtungen gemacht. Es könnte auch sein, dass Seeadler mitwirken am Rückgang der Weißstörche, Nachweise dafür gibt es aber nicht. Dagegen spricht, dass die scheuen Seeadler dafür tagsüber die im Siedlungsbereich stehenden Nestmasten anfliegen müssten.
Was ist in der Lausitz an Jagdverhalten beobachtet worden? Es gibt Berichte und Vermutungen, dass Blässrallen die Nähe von Gänsen suchen, vielleicht um
von deren Wachsamkeit zu profitieren? Gibt es das hier auch? Wie jagen Seeadler Blässrallen?
Das habe ich nicht beobachten können. Hier werden Blässrallen immer wieder angeflogen. Diese
tauchen unter und später wieder auf, irgendwann ist für den Seeadler eine günstige Gelegenheit und er greift sich eine Blässralle. Auch Anflüge auf Gänse wurden schon beobachtet, meist sind es
aber kranke Gänse, die geschlagen werden, die schon vom Ansitz aus identifiziert werden. Auch Säugetiere werden selbst gejagt, Seeadler fressen eigentlich alles was sie kriegen können.
In den Alpen orientieren sich Gänse- und Bartgeier am Flugverhalten von Kolkraben um Aas zu finden, kennst du etwas Ähnliches von Seeadlern?
Ja,
die Seeadler steigen wohl in größere Höhen auf und schauen nach Raben. Durch Beringungen ist festgestellt worden, dass die gleichen Individuen innerhalb eines Tages zwischen 40 und 50 km weit
geflogen sind, wahrscheinlich um Aas zu finden. Vor Ort lassen die Adler dann häufig die Raben zuerst an das Aas heran, diese konzentrieren sich vor allem auf die weichen Körperteile. Adler sind
scheuer und schauen erst einmal. Kommt es zu Konflikten gibt es viele unterschiedliche mögliche Szenarien. Junge Adler werden so lange gemobbt, bis sie entnervt abdrehen. Raben gehen dabei
kooperativ vor: Greift der Adler auf einer Seite an, hängt ihm von hinten schon wieder ein anderer Rabe an den Schwanzfedern. Die Geduld des Adlers hängt meiner Meinung nach ab von seinem Hunger,
dem zahlenmäßigen Verhältnis der Raben und Adler und der Erfahrung der Beteiligten. Ein hungriger Adler läßt sicher keinesfalls freiwillig einen Raben zuerst ran.
Wie ist das Verhältnis zu anderen Tieren?
Fischadler kommen mit Seeadlern gar nicht klar und versuchen sie, wo sie können, zu vertreiben. Das
kann zum einen sein, weil sie Gefahr für ihre flugunfähigen Jungvögel befürchten, zum anderen aber auch weil Seeadler bei beutetragenden Fischadlern, wie bei Kormoranen, schmarotzen. Sie fliegen
sie immer wieder an und zwingen den kleineren Adler im Flug seinen Fisch fallen zu lassen.
Uhus mag der Seeadler nicht in Horstnähe, sie sind eine potenzielle Gefahr für die Jungvögel, wie groß die Gefahr in Wirklichkeit ist weiss ich nicht, in der Lausitz gibt es einen Fall, in dem eine Seeadlerbrut nicht erfolgreich war und vermutet wird, dass ein Uhu die Brut gestört hat.
Interessant sind Begegnungen mit Füchsen. Ein Seeadler könnte durchaus einen Fuchs schlagen, ich habe aber noch nichts beobachten können, was in diese Richtung deutet. Es gibt Berichte, dass Füchse auch von Seeadlern gefressen werden, in diesen Fällen wäre aber auch möglich, dass es sich um kranke oder junge Tiere handelt. Ein Fuchs kam einmal als Nahrungskonkurrent zu einem Luderplatz, holte sich an einem Tag zwei, an einem anderen drei gefrorene Fische. Am zweiten Tag versuchten die Altadler eine koordinierte Ablenk- und Abwehrstrategie, am Ende war aber der Fuchs Sieger und verschwand mit den Fischen. Die Adler haben dabei nicht ernsthaft versucht, den Fuchs zu schlagen.
Die Balz beginnt bei Seeadlern teils schon im Herbst, das ist hier in der Teichlausitz gut zu beobachten. Ich habe mehrfach schon gemischte Gruppen, etwa
2 Jung- und 2 Altadler miteinander fliegen sehen, wobei aber die Altadler offensichtlich verpaart waren. Bleiben die Jungadler nach Verlassen des Horstes noch so lange bei den Eltern?
Ob das die eigenen Jungvögel sind ist unbewiesen, das weiß kein Mensch.
Wie lernen junge Seeadler jagen?
Das ist in den Erbinformationen angelegt. Instinkte sind vorhanden, dann lernen sie über Versuch und Irrtum.
Sie üben in Baumkronen oder im Wasser, in dem sie Stöcke anfliegen und sie greifen. Altadler sind vor allem geübter und effektiver. Wie schnell ein Adler aus seinen Fehlern lernt ist ein
entscheidender Faktor für das Überleben des ersten Jahres.
Du sprachst zu Beginn von Gemeinschaftsplätzen, wie sieht dort die Interaktion der Adler aus?
Es ist schon spannend zu beobachten, wie intensiv
die Adler sich verhalten, wenn sie zusammenkommen. Im Tagebauvorfeld Nochten, in der Muskauer Heide konnte man Seeadler beim gemeinschaftlichen Sandbaden, ohne jede Aggression, beobachten. Bei
jungen Adlern wird schon häufiger Spielverhalten beobachtet, am Ende ist aber jeder sich selbst der nächste. Diese Komfortplätze scheinen auch die einer Kommunikationszentrale zu haben, da wird
richtig gequatscht.
Nahrungsplätze, wo sich mehrere Adler versammeln, sind sehr veränderlich. Wenn die Teiche abgefischt werden sind viele Fische verfügbar, das ist bekannt, aber auch ein Virenbefall von Fischen eines Teiches kann schnell zu einem großen Nahrungsangebot führen. Dort geht es dann deutlich weniger kommunikativ zu.
Wie siehst du die Bedrohungen für Seeadler durch Windkraft und Verkehr, beispielsweise durch schnelle Züge? Es gibt Stimmen, die sagen, die Vögel könnten
den Umgang mit der relativ neuen menschlichen Infrastruktur lernen.
An den Gleisen liegt häufig Aas, das für Seeadler attraktiv ist, Windkraftanlagen können als Sitzwarte genutzt
werden. Leise schnelle Züge oder rasend schnelle Rotoren, die Seeadler haben dafür kein Instinkt mit auf den Weg bekommen und tote Vögel können die Information nicht mehr weitergeben.
Vielen Dank für dein Wissen, Winfried!
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